Wozu braucht man Geisteswissenschaften?

Weil wir keine aufgeklärte, demokratische Gesellschaft hätten, wenn sich Philosophen nicht bewusst mit mittelalterlichen Wirklichkeitsvorstellungen auseinandergesetzt hätten. Weil wir eine Welt wollen, die von Wissen und Weisheit und nicht von Vorurteilen geprägt ist. Weil wir der Gier ein vernünftiges Wirtschaften entgegensetzen wollen. 

Geisteswissenschaften werden gesellschaftlich nicht gerade hochgeschätzt. Oft werden diejenigen, die sich professionell damit beschäftigen, als naiv belächelt, lassen sich die 'humanities' doch nicht direkt in klingende Münze umwandeln. Warum gibt es die Geisteswissenschaften eigentlich noch, wenn sie doch so „nutzlos“ erscheinen? Weil die Geisteswissenschaften nützlich sind.  

 
Wir brauchen die Geisteswissenschaften,

- um die demokratische Gesinnung zu schulen (Politikwissenschaften, Philosophie)

- um aus der Geschichte zu lernen (Geschichte, Politikwissenschaften)

- um die Qualität von Kunstwerken einschätzen zu lernen und damit zur „Qualitätssicherung“ von Kunst beizutragen, denn Kunst erfreut und kann etwas lehren (Kunstgeschichte, Literaturwissenschaften, Germanistik, Anglistik, Romanistik, Musikwissenschaften, Theater- und Filmwissenschaften, etc.)

- um unsere interkulturelle Kompetenz zu schulen und Fremdsprachen zu lernen (Kulturwissenschaften wie z.B. Slawistik, Arabistik, Japanologie, Sinologie, interkulturelle Kommunikation, Ethnologie, etc.)

- um unser Gefühl für Ethik und Moral zu schulen (Philosophie)

- um die Chancengleichheit beider Geschlechtern zu erhöhen oder zu erhalten (Gender Studies, Philosophie) Wo wäre die Frauenbewegung ohne Simone de Beauvoir, die selbst Philosophie studierte?

- um einen objektiven interreligiösen Dialog zu gewährleisten (Religionswissenschaften, Theologie, Philosophie etc.)

- um einen gelassenen und weisen Geist zu schulen (Philosophie, Religionswissen-schaften etc.)

- um mit den Naturwissenschaften zusammenzuarbeiten (besonders Philosophie, Theologie, z.B. wie lässt sich Ethik und Naturwissenschaft verbinden, etc.) 

 PS: Vielleicht erweisen sich manche Erkenntnisse auch erst nach einiger Zeit als nützlich. Der Westen ist humanistisch und technisch so weit gekommen, weil er Grundlagenforschung, deren Nutzen nicht direkt sichtbar ist, immer gefördert hat.

- So war und ist die abstrakte Mathematik ein rein  geisteswissenschaftliches Gedankenspiel. Irgendwann kann aber das unnütze, abstrakte Wissen für konkrete Alltagsprobleme angewendet werden, falls konkrete Notwendigkeit und abstraktes Wissen zusammenkommen.
So konnte man als die industrielle Revolution anbrach, auf einen reichen Schatz von mathematischem Wissen zurückgreifen, ohne dass man sich dieses erst mühsam erarbeiten musste.   

Geisteswissenschaften sind nützlich und anspruchsvoll, und daher sollte auch die Wirtschaft Geisteswissenschaftlern offener gegenüberstehen.

Die immateriellen Werte der Geisteswissenschaften sind nicht zu unterschätzen, denn nicht nur das Bruttosozialprodukt bzw. das Bruttonationaleinkommen ist wichtig, sondern auch das "Bruttonationalglück", ein Begriff, der im buddhistischen Buthan geprägt wurde. Um Demokratie, gerechte Politik, gute Kunst, interkulturelle und interreligiöse Kompetenz, Gerechtigkeit im menschlichen Miteinander, humane Naturwissenschaften und Wirtschaften ohne Gier zu ermöglichen, kurz, damit das Leben lebenswert bleibt, brauchen wir die Geisteswissenschaften.